MERKWURDIGE
ERZAHLUNGEN
UND
WUNDERSÄME
GESCHICHTEN
Teil 1
Gisela Hajjar
Übersetzer aus dem Arabischen
Prof Dr W. Fischer
Übersetzer und herausgeber
The Daheshist Publishing Co. Ltd.
New York 1988
INHALTSVERZEICHNIS
Am besten ist es, sich an die Wahrheit zu halten
Einleitung von Dr. Ghazi Brax
Eine schreckliche Vision wird Wirklichkeit
Das Geheimnis des Bambuskorbes
Ein Kampf, der wirklich stattgefunden Hat
0 welch ein Entsetzen!
Ein Traum sank nieder auf die Welt der Erdenbürger
Für Leila Dahesh, zu ihrem Geburstsag
Eine rechtschaffene Mutter und eine fromme, reine Schwester
Der Wiedehopf und das Mädchen Huda
Rabab tanzt zu den Melodien der Rabab
Die alte Jungfer
Der streunende herrenlose Hund
Eine unbekannte Seite im Liebesleben des Kaisers Napoleon
Die Tyrannei des Stammes der abtrünnigen Dämonen
Eine furchtbare Geschichte und ein Schreckliches schicksal
Das vernichtende Feuer der Liebe
Die verwaiste Lampe
Ein glückliches Liebespaar
Das graue Waldeichhörnchen
Der gottlose Knüppel und die hungrige Katze
Die Erde erbebte
Eine Geschichte für zwei Dollar
In den weiten Gefilden des größten der Götter und Gebieter
Die Geschichte von der weinenden Kerze
Eine verbrecherische und grausame Mutter, wie sie die Geschichte noch nie gekannt hat
Der gemeine Satan und der verfluchte Teufel
Die heldenmütige schwarze Katze
Der Frosch vom Bach
Der Schafhirte
Die Reise des Dichters
Der Hund wurde zum Menschen, und das Unglück brach über ihn herein
Zuneigung und Liebe - Leidenschaft und Glut
Strahlend wie die Sonne
Die bezaubernde Seejungfrau
Entsetzliche diabolische Wahnvorstellungen
Der Container und seine 25 Kisten
Ein feierlicher Schwur wird gebrochen und von der Liebesleidenschaft hinweggefegt
Venus stieg auf die Erde hinab
Sie heiratete zehn Männer
Wer ist der Mörder?
Zartbesaitet und einfallslos
Der Geldgierige überläßt anderen seinen Schatz
Ein Milliardär stirbt vor Hunger
Treulosigkeit, deren Schande ewig währt
Gespräch zwischen zwei Schlangen
Katharina - Die berühmteste Sünderin (geb. 1729, gest. 1796)
Der verfluchte Teufel erscheint
Der Schatz verflüchtigte sich
Der Planet Fumalsab
Harmachis und Amonartis
Sidon wurde vernichtet und sein Volk gänzlich ausgerottet
Der schmutzige verstoßene Verräter
Die Neunundvierzigste der tiefsten Stufen
Die Fünfzigste der tiefsten dunklen Stufen
Verblichener Lenz
'Bei Gott, du schöne Zeit der jugend
der frühlings und des Glücks
liebt du, IN gottlose und unbarmherzige,
gießt du in Schmerzen mich zurück ?
Warum .bist du m i feind e j gesinnt,
schwächtest meine Gestalt
uni ließt mein haar ergrauen ?
Gib mir mein Jugendkleid zurück
und [aß an `Frohsinn und £acheln mich wieder erbauen.
Laß mich meine `Freunde wieder sehen,
so daß d e Tage ance en ihr `Freudengewand !
Da antwortete traurig mir die Zeit:
Deine Jugend ist dort...
in den Wolken sie entschwand
Dahesh
crus seinem ßuch "blize um !Donner"
AM BESTEN IST ES, SICH AN DIE WAHRHEIT
ZU HALTEN
von Dr. Dahesh
Am 10. 3. 1976 kam ich um 15.30 Uhr an Bord eines Jumbo Jets in New York an. Zweieinhalb Jahre hielt ich mich in Amerika auf, und schrieb dort die meisten dieser 85 Erzählungen und Geschichten, die in zwei Bänden herausgegeben werden.
Zum ersten Mal wende ich mich damit dieser Art von Literatur zu, die reich ist an mannigfaltigen, wunderbaren und seltsamen Bildern.
In der Erzählung kann der Autor die Ereignisse und Tatsachen des Lebens gestalten, das voll von Merkwürdigkeiten ist, die eine Mischung aus Gut und Böse darstellen. Zum Schluß der Erzählung kann er mit einer Ermahnung und einer Schlußfolgerung aufwarten, womit er zum Guten anspornt und das Verbrechen moralisch verurteilt. Der Leser meiner Erzählungen und Geschichten wird verblüfft sein von dem strengen Urteil, das ich allen Problemen und Kümmernissen, mit denen das Leben so reichlich versehen ist, zuteil werden lasse.
Er wird feststellen, daß ich die Frau und auch den Mann streng beurteilt habe. Aber die Wahrheit soll gezeigt werden, ohne daß das Gewand der Heuchelei sie verschleiert. Denn die Wahrheit zerreißt diesen falschen Schleier, und so wird der ruchlose Bösewicht sichtbar, während er seinen Frevel begeht und das Schandkleid trägt.
Es ist die unbedingte Pflicht des Schriftstellers, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Warum versuchen aber alle, ihre Erzählungen in einer Weise zu schreiben, daß sie im Tugendgewand erscheinen, während auf unserer Welt das Laster vorherrscht?
Sie sollten sich wie die Adler auf ihre Beute niederstürzen und unzweideutig und ohne Zugeständnisse die reine, offene Wahrheit aussprechen.
Weil ich dies tue, wird der Leser feststellen, daß mein Urteil über die Bewohner unserer Erdkugel, ob Männer oder Frauen, ein hartes, aber berechtigtes Urteil ist. Ich bin keineswegs voreingenommen und ungerecht gegen sie. Doch ich beschreibe die Realität unseres mit Sünden erfüllten Lebens, in das alle bis zum Schopfe verstrickt sind.
Der Betrug ist vorherrschend, und die Lüge findet einen guten Absatzmarkt. Rechtsbrüche werden von niemandem verleugnet, und in den Hauptstädten der gesamten Erdkugel greift die Lasterhaftigkeit um sich. Unsittlichkeit und Ausschweifung beherrschen das ganze Menschengeschlecht. Und die Begierden -sprich ruhig über sie, dagegen ist nichts einzuwenden! Geldverdienen, und sei's auf unerlaubtem Wege, ist nicht mehr Mittel zum Zweck sondern Endziel. Die Verworfenheit überwältigt die Tugend; glas Unrecht hat seine Flügel ausgebreitet und streift, sein schreckliches Gift ausspeiend, in allen Teilen unseres Planeten umher; und die Erdensöhne, samt und sonders, leisten ihm Folge.
Dies ist die Wahrheit, und nur ein verlogener Leugner kann sie in Abrede stellen.
Deshalb werden die Leser bemerken, daß meine Erzählungen dadurch gekennzeichnet sind, daß sie keinen Mann verschonen und keine Frau von der wirklichen Verantwortung freisprechen. Die Ansichten der anderen interessieren mich überhaupt nicht, wenn sie zu meiner Meinung im Widerspruch stehen. Was ich über das menschliche Verhalten geschrieben habe, daran glaube ich, genauso wie ich an die Existenz meines Schöpfers glaube. Denn es ist die tatsächliche Wahrheit, ja eine furchtgebietende, ungeschminkte Wahrheit, die Lüge und Trug in keiner Weise duldet.
Nur ein einziger Mann war überlegen in seiner Güte und Aufrichtigkeit, in der Reinheit seiner Seele und seiner Wahrheitsliebe, in seiner Aufopferung für die anderen und seinem Beharren auf der höchsten Tugend. Es ist
Gandhi -der Prophet des 20. Jahrhunderts
Mit dem Übergang Gandhis in die reine behütete Welt des Geistes schloß sich eine Tür; denn kein anderer Mann der Güte ist auf unserer Welt erschienen, der ihm gleich käme.
Am Freitag, dem 30. Januar 1948, um 15 Uhr, schied Gandhi aus unserer Welt, und verließ die so schändlich in Schmutz und Unreinheit versunkene Erde. Am Tag seines Ablebens wurden die großen Männer und Politiker der Welt von Verzweiflung ergriffen, erfüllte Traurigkeit die Seelen und Angst die Herzen, und die Zeitungen beklagten den bedeutendsten Mann unserer Erde.
An dieser Stelle möchte ich den Artikel zitieren, den die palästinensische Zeitung "Ad-Difa" am 1. Februar 1948 veröffentlichte. Sie schrieb unter dem Titel:
Gandhi -Licht und Geist
"Vom Okzident bis zum Orient fand der Verlust Gandhis das gleiche, lebhafte Echo. Nie zuvor in unserem Zeitalter hat die Trauer um einen Mann Millionen von Menschen ergriffen, wie dieses Mal, beim Ableben des Lehrers, Befreiers und Vaters Indiens. Allein dies genügt, um zu verdeutlichen, welchen Rang der große Reformator in den Seelen der Völker und Individuen eingenommen hat. Es ist auch ein Beweis dafür, daß der Orient der Welt noch immer Reformatoren darbringt, die eine umfassende, humanistische Mission erfüllen.
Gandhi war zu sanftmütig und gütig, als daß er einem Mord hätte ausgesetzt sein dürfen; er war ein Licht, und wie dieses leuchtete er in der Dunkelheit. In unserer Welt gibt es viele finstere Seiten, doch Gandhi strahlte immer, den Ratlosen, ob stark oder schwach, den Weg der Erlösung weisend.
In einer Welt, der es an Opferbereitschaft und Nächstenliebe mangelt, war Gandhi ein hervorragender Lehrer auf diesen Gebieten. Es genügt zu sagen, daß niemand in der Lage war, seine Stufe zu erreichen. Bis den Menschen das gelingt, werden sie Charakterfestigkeit und Seelenruhe dringend nötig haben.
Wir glauben, es gibt niemanden auf dieser Welt, an dessen Ohr nicht der Name Gandhis gedrungen ist, ein barmherziger Name, der die Herzen ergreift, wie eine sanfte Melodie, süß wie die Wasser des Euphrat und ehrfurchtgebietend wie die Heiligkeit."
So ist Gandhi derjenige, den ich rühme; und Gandhi ist es, den ich preise und verehre.
Das Scheiden Gandhis aus den Gefilden unserer Welt bedeutete das Ende der Tugend, denn ich sah niemanden sonst auf dieser Erde, der sich wirklich fest an die Tugend hält. Alle sind Sklaven ihrer tierischen Begierden, ebenso wie sie Sklaven ihrer eigenen Interessen sind. Gewalttätig übergehen sie die Rechte der anderen, selbst wenn sie ihnen dabei Leid zufügen, um die Beute zu erringen, die besudelt ist von der gemeinen Pest der widerrechtlichen Aneignung.
So verkünde ich schließlich mit lauter Stimme:
Unsere Welt ist von der Pest furchtbarer Laster befallen, und ihre Bewohner sind schamlose Bösewichte.
Doch wehe ihnen am Tag des jüngsten Gerichts, wenn sie sich-als gerechte Strafe dafür -im ewig brennenden Feuer winden werden!
Dr. Dahesh
Beirut, den 4. Januar 1979
EINLEITUNG
von Ghazi Brax
Dr. Dahesh steht einzigartig unter den Menschen mit seinen Werken da und zeichnet sich unter den Schriftstellern mit seinen außergewöhnlichen, wunderbaren Erzählungen aus!
Wenn Homer durch seine Mythen bekannt wurde, Voltaire durch seine Geschichten mit seltsamen Ereignissen, Dante mit seinen Reisen durch Himmel und Hölle, Edgar Allan Poe durch seine wunderbaren Novellen, Jules Verne durch seine phantastischen Romane und Tolstoi durch die Darstellung des wirklichen Lebens, so ist es Dr. Dahesh gelungen, alle diese Eigentümlichkeiten in sich zu vereinen, und diese Schriftsteller durch die ihm von Gott gewährten einzigartigen geistigen Gaben zu überflügeln. Sie erlauben es ihm, die Geheimnisse des Lebens und des Todes ans Licht zu bringen und die Rätsel der materiellen und geistigen Existenz zu enthüllen.
Nach seinem wundervollen Buch "Erinnerungen eines Dinars", das einer Odyssee des zwanzigsten Jahrhunderts gleicht, bietet Dr. Dahesh der literarischen Welt 85 Erzählungen in zwei Teilen. Es sind reizvolle Kurzgeschichten, die der Leser auf jeden Fall genießen wird, denn wie auch immer er an sie herangehen mag, so wird er nicht mit leeren Händen ausgehen, sondern Früchte ernten, deren köstlichen und wunderbaren Geschmack er nicht vergessen wird!
Diejenigen, die Entspannung und Unterhaltung suchen, werden diese bei der Lektüre dieser Geschichten, mit ihren neuartigen Themen, ihren seltsamen Ereignissen, ihrer spannenden erregenden Handlung, ihrer verwirrenden verblüffenden Problematik und der erstaunlichen überraschenden Lösung, gewiß finden. Diejenigen aber, die darauf bedacht sind, aus der Lektüre Nutzen und Lehren zu ziehen, werden auch auf ihre Kosten kommen, denn die Geschichten sind lehrreich und ohne langweilige Predigten, lästige Belehrungen oder überflüssige Weitschweifigkeit. Hier spricht das Leben selbst, in allen seinen Sprachen und mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten. Man besteigt gleichsam das Boot der Phantasie, das uns über die schäumenden Wellen des Lebens trägt, bald sich leise wiegend, bald sich von ihnen fortreißen lassend, und man erlebt, wie sich Ursachen in Ergebnisse und Samen in Früchte verwandeln, in einer Abfolge von Freuden und Leiden, Hoffnungen und Schmerzen, Tränen und Lächeln. Es ist, als ob man zwischen Ewigkeit und Unendlichkeit umherzöge und das gesamte Leben, das wie ein unsterblicher Strom dahinfließt, in seinen Händen hielte!
Der Leser wird gemeinsam mit dem Autor, von Erstaunen gefesselt, die Erdenwelt durchwandern, und es mag ihm vorkommen, als habe er die Menschen noch nicht gekannt, als sei er noch nicht mit ihnen vertraut! Nachdem die Masken von ihren Gesichtern gefallen sind, werden sie ihm anders erscheinen als jene, die er gekannt hat, und ihre Charaktere werden sich ihm offen zeigen. Er wird sich vorkommen, als habe man ihm einen Dolchstoß versetzt!
Denn die Wünsche der Frau werden von einer unbezähmbaren Begierde beherrscht, der Betrug hat sich ihres Verhaltens bemächtigt, und ihre Schritte werden von der Heuchelei geleitet. Trotz alledem ist ihr Thron auf der Erde nicht ins Schwanken geraten, und ihre Herrschaft über die Herzen der Männer ist unerschütterlich! Wenn man aber eine aufrichtige treue Frau findet, so ist sie sicherlich nicht aus dem Lehm unserer Erde, sondern sie stammt von einem fernen Planeten!
Der Mann ist beherrscht von Gier und Eifersucht. Verrat und Ungerechtigkeit umgeben ihn. Wenn man zu einem Mann Vertrauen faßt, seine Taten rühmt und sein Verhalten preist, wird man bald feststellen, daß sein Licht nicht aus dieser Finsternis stammt; er ist wie ein Goldkorn im Sand.
Der Leser wird vielleicht auf den Gedanken kommen, daß das Leben unserem Autor heftig mitgespielt hat, so daß sein Blick trübe geworden ist und er das Leben mit harten Worten verurteilt. Er mag annehmen, daß sein starker Pessimismus ihn glauben läßt, das Böse beherrsche die Erde, und die Gemeinheit habe sich in den Herzen ihrer Bewohner eingenistet und treibe dort neue Sprosse. Aber der, welcher mit Einsicht und Verstand liest, wird alsbald bemerken, daß der Verfasser, mit seiner einzigartigen Darstellung, das Kernstück der Wahrheit getroffen hat, weil das Banner der Wahrheit sein Banner und die Wahrheit sein einziges Ziel ist. Er ist ein Mann der Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit, dessen Aussprüche das beste Urteil abgeben und das Recht zu Wort kommen lassen. Wir andern geben uns der Selbsttäuschung hin und beschönigen die häßliche Seite des Lebens, damit uns die Widerwärtigkeit unserer Gesichte nicht quält. Er jedoch hält uns die Wirklichkeit vor Augen - selbst wenn uns das Messer der Wahrheit verletzen sollte-, um uns vor den schrecklichen Gefahren des Lebens zu bewahren und uns ein achtbares Beispiel zu geben.
Die Phantasie des Autors läßt den Leser zu anderen Planeten und himmlischen Welten aufsteigen, öffnet ihm ihre ehrwürdigenTore und lüftet die urewigen Schleier. Wenn der Leser ihre glücklichen Gefilde durchstreift, wird er am großen Freudenrausch ihrer Bewohner teilhaben und verblüfft sein von ihren erstaunlichen Geheimnissen und ihrer wunderbaren Lebensart. Dann wird er sich davon überzeugen, daß das irdische Glück, im Vergleich zur ewigen Glückseligkeit, nur eine vergängliche Illusion und ein blasser Abglanz ist. Er wird feststellen, daß die menschliche Zivilisation nur eine Stufe auf der Leiter der kosmischen Zivilisationen darstellt. Diese Erzählungen vermitteln dem Leser nur einige wenige Aspekte von dem großartigen Wissen der Sternenwelten. So wird er danach streben, sich wenigstens ein kleines Mass von Erkenntnis anzueignen, um damit, wenn auch nur in ganz begrenzter Weise, am Genuß ihrer Wonnen teilzuhaben.
Der Verfasser des Buches öffnet dem Leser aber auch die Tore der Hölle, und er lernt ihre Dämonen kennen, die auf der Erde vielleicht normale Menschen darstellen. Man lebt mit ihnen zusammen und verkehrt mit ihnen, bis man ihnen Vertrauen schenkt. Dann aber zeigen die Schergen der Hölle ihr wahres, schreckenerregendes Gesicht und die furchtbare Tragödie nimmt ihren Lauf!
Er öffnet dem Leser die Grabstätten, und die Toten springen auf, um die schönen Frauen in den Palästen zu verführen, bis daß die Stunde der Abrechnung geschlagen hat und die Toten ihr furchteinflößendes Gesicht enthüllen. Dann erleiden sie ihre Strafe, und was für eine Strafe!
Der Leser wird gemeinsam mit dem Autor die weiten Fluren der Natur durchqueren und feststellen, daß die Erde, der Weltenraum, die Pflanzen und Tiere allesamt vernünftige Lebewesen sind, die begreifen, fühlen, wünschen und den Kampf zwischen Gut und Böse durchmachen. Er wird erstaunt darüber sein, daß die Menschen nicht die einzigen vernünftigen Lebewesen sind, und er wird die Ohren spitzen, um das Flüstern des Windes im Schilf, das Wispern der Kräuter und das Raunen des Holzes zu hören. Sein Blick-vom Verfasser geschärft-wird tief in das Wesen der Dinge eindringen, ihren verborgenen Sinn und ihre Beziehungen zu den Menschen entdekken. Denn alles beruht auf dem Mysterium der Seelenwanderung und auf dem Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit, deren Waagschale nie aus dem Gleichgewicht gerät.
Manchmal begegnen dem Leser in den Ereignissen der Geschichte Lücken, die er gern schließen möchte, oder Fragen, auf die er eine Antwort sucht. Unser Autor gibt ihm die befriedigende Antwort und die erstaunliche Erklärung, die nur ein bewunderungswürdiger Mann zu finden in der Lage ist.
Auf diese Weise wird der Leser -während er sich auf dieser spannenden Reise befindet -sich veranlaßt sehen, seine Auffassungen, die er von vorangegangenen Generationen ererbt hat, nochmals zu überdenken, ebenso sich selbst und seine Kultur. Nicht immer ist der Mensch das Beste der Geschöpfe, selbst wenn wir nur die irdischen unter ihnen betrachten wollen. Manchmal wird er sogar vom Hunde übertroffen. Denn wirklichen Wert besitzt nur das geistige Fluidum, wo auch immer es vorkommt, und nicht der Mensch. Das Fluidum -jene unsichtbare aktive Strahlenenergie, die allen Lebewesen gemeinsam ist - ist, entsprechend der Absicht, von der es gelenkt wird, in der Lage, sich aufwärts zu entwickeln oder sich zu erniedrigen. Das Fluidum allein hat die Verantwortung für die Richtung. Die menschliche Zivilisation jedoch ist nur ein kleines Glied in der Kette des bis ins Unendliche aufsteigenden kosmischen Lebens.
Unter diesem Aspekt decken die Erzählungen das Geheimnis der Beziehung der Welten zueinander auf und enthüllen uns, warum Menschen einander verstehen oder verschiedener Meinung sind, warum Ehepaare glücklich oder unglücklich miteinander sind... All dies ist auf die Begegnung ihrer Fluida in vorangegangenen Zyklen, ihre Übereinstimmung oder ihre Unvereinbarkeit zurückzuführen. Es ist möglich, daß zwei arme Leute glücklich und zwei reiche unglücklich leben; und es kann vorkommen, daß dem Menschen ein Fluidum aus einer himmlischen Welt eingegeben wird oder daß ihm ein Fluidum aus einer niederen Welt Böses einflüstert!
Die Erzählungen des Dr. Dahesh zeichnen sich, trotz ihrer einfachen Gestaltung, durch ihre Tiefgründigkeit aus, denn sie führen den Leser von zufälligen Ereignissen zum Kern der Dinge und gewähren ihm Einsicht, so daß er das Leben in seinen wirklichen Dimensionen und in seiner ewigen Fortdauer sieht, die wunderbarer ist als die Phantasie. So gesehen, stellt der überwiegende Teil an Imagination, der in diese Erzählungen eingegangen ist, eine wirkliche Realität dar, die aber den Augen der normalen Menschen verborgen bleibt.
Diese erzählende Dichtung vermittelt dem Leser eine Art lebendiger Philosophie, die nichts gemein hat mit gedanklichen Gaukeleien und widersprüchlichen Scheinhypothesen - eine Philosophie der nackten Wahrheit, aber dargeboten auf den blendenden, strahlenden Flügeln der Phantasie. So bleibt vor den Augen des Lesers nur noch die Waage der göttlichen Gerechtigkeit!
Die Neuartigkeit dieser Literatur besteht nicht in stilistischer Artistik, in rethorischen Metaphern, origineller Ausschmückung und künstlerischem Schwindel, auf die vom Neuerungswahn gepackte Erzähler so oft zurückgreifen, sondern in ihren erhabenen, wunderbaren Ideen und ihren einzigartigen neuen Themen. Ihre Ungewöhnlichkeit zeigt sich auch darin, daß sie eine existierende und nicht eine erfundene Wirklichkeit entschleiert. Hier werden die Tatsachen des Lebens wie Naturgesetze enthüllt Gesetze, die jedoch im Innersten des Daseins ständig existieren. Das Verdienst des genialen Dichters besteht darin, daß er die Schale des Lebens zerbricht, um zu seinem Kern zu gelangen. Dann kann er sehen, was andere mit bloßen Augen nicht gewahren können.
Schließlich ist es uns ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, daß die neuartige wunderbare Welt, die uns Dr. Dahesh auf dem Lande, zu Wasser, im Kosmos und im Inneren der Dinge darbietet, sicherlich reiche und fruchtbare Stoffe für Kino und Fernsehen enthält, und es wird nicht lange dauern, bis die Regisseure darin wetteifern werden, sich von seinen Erzählungen inspirieren und anregen zu lassen. Denn neben Spannung und Aufregung enthalten sie Lehren und Nutzen, Tiefgründigkeit und Schlichtheit. Es sind außergewöhnliche Erzählungen eines außergewöhnlichen Mannes, die "Tausendundeine Nacht" des 20. Jahrhunderts, geschrieben in einem spannenden lebendigen Stil, der durch seine Einfachheit anspricht, um vielen ein Genuß und eine Lehre zu sein.
Ghazi Brax
Beirut, den 4. Januar 1979
EINE SCHRECKLICHE VISION WIRD WIRKLICHKEIT
Diese Geschichte wurde am 4. Dezember 1948 in der irakischen Zeitschrift "Al-Bajan" (herausgegeben in An-Nagaf) veröffentlicht.
Es steht uns hier nicht zu, die Ereignisse dieser Geschichte, ob wahr oder erfunden, zu diskutieren. Wir veröffentlichen sie an dieser Stelle, weil sie die Kennzeichen einer erfolgreichen Erzählung enthält; und gerade das beabsichtigen wir in dieser Sonderausgabe zu zeigen1.
(Chefredakteurin der Zeitschrift "Al-Bajan")
-1-
Am Morgen des 10. Juli 1944 erhob ich mich aus meinem Bett und vergegenwärtigte mir nochmals den furchtbaren Traum, der sich mir im Schlaf gezeigt hatte:
Ich saß an meinem Schreibtisch, und während ich eine Reihe neuer Bücher durchblätterte, läutete plötzlich mehrmals die Klingel meiner Wohnung. Ich eilte zur Tür und öffnete sie. Da sah ich drei Personen, die in mein Heim eindringen wollten, um mich zu ermorden. Hinter ihnen stand ein beleibter Kommissar, der ihren Fanatismus schürte und sie dazu drängte, mich zu töten.
Im Handumdrehen ergriff ich meinen Stock, der sich in der Nähe befand und entnahm seinem Inneren eine scharfes Stilett. Dann stürzte ich mich auf diese Schurken und versetzte ihnen damit wie im Wahnsinn heftige Stiche, so daß tiefrotes Blut aus ihren Wunden strömte. Entkräftet und vor Erschöpfung keuchend entflohen sie... Ich schloß die Tür und verriegelte sie gut, dabei zitterte ich am ganzen Körper, so war mir der Schrecken in die Glieder gefahren!
* * *
Nachdem diese blutige Szene verschwunden war, erschien mir eine weitere:
... Ich klopfe an die Tür meines Freundes, George Ibrahim Haddad. Er ist der Schwager des Präsidenten der Republik, Bischara al-Churi. Nach kurzem Warten wird mir die Tür geöffnet. Kaum bin ich einige Stufen hinaufgestiegen, da werden mehrere Schüsse abgefeuert, die mich fast getötet hätten. Aber ich blieb unverletzt.
Es stellt sich heraus, daß diese Schüsse von 'Arif Ibrahim, dem Beiruter Polizeidirektor, von Omar Tabbara, Polizeioberkommissar, und Muhammed Ali Fayyad, Kommissar des "Al-Burj" Viertels, abgegeben worden sind. Unverzüglich und ohne vorherige Warnung stürzen sie sich auf mich... Ich gehe auf sie zu, und zwischen uns entsteht, auf der Treppe der Wohnung, ein heftiges, fürchterliches Handgemenge.
Kurz darauf sehe ich Magda Hadad, die Tochter meines Freundes George Hadad; sie stürzt die Treppe herunter auf mich zu. Sie umarmt mich, um mich vor den Attacken meiner Angreifer zu schützen. Nun entsteht ein vollkommener Wirrwarr, und alle, die sich in der Wohnung befinden, eilen herbei, unter ihnen Magdas Vater, ihre Mutter und ihre Schwestern. Es wird Lärm geschlagen, ein Chaos entsteht, man hört Schreie, Beschimpfungen werden laut und es wird um Hilfe gerufen. Bald ist das gesamte Viertel in Aufruhr, und die Menschen stürzen herbei, um die Tatsachen des Vorfalls zu erfahren.
In diesem Moment zieht Muhammed Ali Fayyad seine Pistole und versetzt mir mit ihrem Schaft einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Ich fühle mich sehr schwindlig und falle zu Boden, ohnmächtig und ohne ein Wort von mir zu geben...
So endete die zweite Szene.
Danach erschien mir die dritte und letzte Vision:
Jetzt sah ich mich auf dem Polizeibüro des "Al-Burj"-Viertels. Meine Kleidung war zerissen, mein Gesicht geschwollen und mein Mund blutig. Ich sprach mit sichtlicher Erschöpfung, und der Schweiß rann mir in Strömen über die Stirn. Eine große Schar von Polizisten und Angehörigen der Geheimpolizei umgab mich von allen Seiten.
Dann konnte ich sehen, wie Muhammad Ali Fayyad eine fest gedrehte Peitsche zur Hand nahm und mich damit schlug, so daß mein Körper vollkommen zerfleischt wurde. Als diese barbarische Arbeit ihn erschöpft hatte, setzte sein Kollege, Omar Tabbara, fort, was er begonnen hatte.
Und als dieser vom vielen Peitschen müde wurde, übernahm der Polizeidirektor 'Arif Ibrahim' diese Aufgabe und führte sie unverdrossen aus.
Dann hörte ich, wie sie mich mit widerlichen Worten beschimpften, die selbst das Gesindel der Gassen und Bordelle nicht auszusprechen wagt.
Schließlich wurde ich in Begleitung von drei Männern der Geheimpolizei, die von ihrem Chef, Omar Tabbara, angeführt wurden, zu einem kleinen Auto gebracht, das bald darauf losfuhr. Nachdem wir weite Strecken zurückgelegt hatten, kamen wir in Aleppo an, wo ich von einem Polizeiamt zum anderen, von einem Gefängnis in ein anderes kam. Überall wurde ich beleidigt und beschimpft, wurde bloßgestellt, elend behandelt und mußte hungern. Da wurden die Erinnerungen an meine glückliche, ferne Vergangenheit wach, und meine Tränen flossen in Strömen...
Zum Schluß schleppte man mich an die türkische Grenze und befahl mir, sie zu überschreiten...
Beamte der syrischen Polizei verlangten von mir, mich auf türkisches Territorium zu begeben, während die Mündungen ihrer Gewehre auf meine Brust gerichtet waren.
Da fügte ich mich und tat, was sie mir befohlen hatten.
So wurde ich ausgestoßen und fühlte mich vollkommen elend und unglücklich...
Ich durchquerte öde Wüsten und schleppte mich über glühend heiße Erde...
Nachts hatte ich kein Lager, zu dem ich Zuflucht nehmen konnte... Tagsüber irrte ich ziel- und planlos umher.
Außerdem hatte ich kein Geld, um mir etwas Eßbares beschaffen zu können.
Ich fand keinerlei Zuneigung bei denjenigen, die ich bat, mich aufzunehmen. Alle glichen sie Wölfen, alle legten sie eine entsetzliche Brutalität an den Tag.
Da flehte ich Gott inständig an, er möge den Tagen meines Leides und Elends ein Ende bereiten und mich in seine glänzende, ewig leuchtende Welt aufnehmen. Aber auch dieser Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Ich magerte ab und meine Kräfte schwanden, meine Hoffnungen zerrannen und die Wünsche verwelkten; ich erwartete den Tod. Doch der Tod mit seinem teuren Antlitz wendete sich ab von mir!
Es dauerte nicht lange, bis ich mich auf dem Rücken eines starken und kräftigen Löwen reiten sah. Er brüllte so stark, daß die Täler das Echo zurückwarfen und die Ebenen davon erzitterten!...
Der Widerhall seines Gebrülls erschallte zwischen den hochragenden Bergriesen!...
Da erwachte ich, und war verblüfft von dem Traum, der sich mir im Schlaf gezeigt hatte!
Die Tage verflossen rasch, einer nach dem andern, der MonatJuli ging zu Ende. Auch die Tage des Monats August vergingen, ohne daß etwas Unangenehmes passiert wäre.
Da sagte ich mir, daß dies wohl wirre Träume gewesen seien und pries Gott dafür, daß mein schrecklicher Traum nicht Wirklichkeit war. Aber... ?!
-2-
Am Morgen des 28. Augusts 1944, es war Montag, erwachte ich in der Wohnung von George Ibrahim Haddad, des Schwagers von Bischara al-Churi, dem Präsidenten der Republik. Ich nahm mir ein Taxi, um meine Wohnung aufzusuchen. Dabei begleiteten mich George und sein Schwiegersohn Joseph Hajjar.
Kaum hatten wir die Wohnung erreicht und wollten aus dem Auto steigen, da sahen wir acht verdächtige Personen. Sie hatten grobe Knüppel, Pistolen und Dolche bei sich. Ich erkannte das Komplott und befahl dem Taxifahrer weiterzufahren und uns zur Polizeiwache des "Basta"-Viertels zu bringen. Dort angekommen, informierten wir die Wachtposten und baten sie, eine Polizeitruppe zu meiner Wohnung zu schikken, um diejenigen festzunehmen, die die Absicht hatten, mich zu überfallen.
Da behauptete der Wachtposten, daß er im Moment keine Truppe schicken könne, da sie einen besonders gefährlichen Auftrag auszuführen hätten.
Ich merkte, daß es zwecklos war, die Zeit mit unnützen Disputen zu vergeuden.
Zweifellos wird der werte Leser sehr erstaunt darüber sein, daß die Polizei nicht versucht hat, ein Verbrechen zu verhindern, bevor es verübt wird; und er wird dem, was ich in meinem Artikel niedergeschrieben habe, keinen Glauben schenken. Deshalb möchte ich ihm in kurzen Worten einige Gründe und Motive schildern, damit er die Wahrheit erfährt und seine Verwunderung über diesen Vorfall schwindet.
Die Ehefrau meines Freundes George Ibrahim Hadad, Marie Hadad, ist die Schwester der Gattin von Bischara al-Churi, dem Präsidenten der Republik. Wie es scheint, war es ihnen, aus speziellen familiären Gründen, nicht angenehm, daß Marie Haddad sich dem Daheshismus anschlösse.
Deshalb scheuten sie keine Mittel, die Familie von mir zu trennen. Aber bisher waren sie erfolglos gewesen. Und alle ihre Versuche waren gescheitert, ja sie wurden völlig ratlos.
Nun spielte die Macht der unedlen Absichten ihre schreckliche Rolle.
Offizielle Persönlichkeiten griffen ein, um unsere Freundschaft zu zerstören. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein und erhob gegen mich unbegründete Anklagen...
Nach monatelangen, genauen Untersuchungen zerplatzten diese Anklagen allerdings wie Seifenblasen. Das Unrecht war getilgt und im Keime erstickt.
Diejenigen aber, denen daran gelegen war, mich von dieser Familie fernzuhalten, waren verärgert und wollten nun unlegale Mittel anwenden, ihre Pläne durchzusetzen, da sie auf legalem Wege gescheitert waren.
Da griff eine wichtige und hochgestellte Persönlichkeit in die Angelegenheit ein und vereinbarte mit einer Schar von Verbrechern, daß sie mir vor meinem Haus auflauern und mit mir Streit anfangen sollten. Es war ihre Absicht, mich herauszufordern, so daß ich gezwungen wäre, mich zu verteidigen. Dann würde die Staatsanwaltschaft dazu in der Lage sein, Hand anzulegen.
Deshalb, lieber Leser, hatte es die Polizeiwache abgelehnt, eine Truppe zu schikken, um diese Lumpen festzunehmen. Wir setzten also unseren Weg fort und begaben uns zur Wohnung von Muhammad Ali Fayyad, Kommissar des "Al-Burj"-Viertels.
Da es noch früh am Morgen war, fanden wir ihn in seiner Wohnung. Doch er lehnte es ebenfalls ab, uns zu begleiten, indem er vorgab, er habe einen gefährlichen Auftrag zu erledigen.
Da verlor ich die Nerven und gab ihm zu verstehen, ich sei sicher, daß es die Regierung sei, die diese Schurken angewiesen habe, mich zu überfallen. Denn was würde ihn sonst davon abhalten, uns zu begleiten und sie selbst zu sehen?
Und warum hatten die Wachposten sich auch geweigert? Dem fügte ich hinzu:
"Ich werde gegen Sie einen Prozeß anstrengen und diese gemeine Verschwörung aufdecken. Es ist eine Schande, daß diese von Personen angezettelt wird, die im Dienste der Regierung stehen."
Darüber hinaus drohte ich ihm, daß ich ein Rundschreiben drucken lassen und darin anführen werde, daß er sich geweigert habe, mich zu begleiten. Da gab er schließlich gezwungenermaßen nach.
Kaum waren wir bei der Wohnung angekommen, da sahen mein Freund George, Joseph Haddad und ich, wie der Herr Kommisssar seine ehrenwerte Hand hob, um diese mit meiner Ermordung beauftragten Schufte zu begrüßen.
Da war der Schleier zerrissen, die Pläne wurden klar, und die Absichten traten zutage ... Meine Vermutung hatte sich also bestätigt.
Blitzschnell und wie wild stürzten sich diese Bestien auf uns.
Doch ich war schneller gewesen, war in meine Wohnung geflüchtet und hatte die Tür verriegelt.
Darauf versuchten sie im Beisein des trefflichen Kommissars, gewaltsam in die Wohnung einzudringen, um mich umzubringen, so daß sich Joseph Hajjar veranlaßt sah, das Stilett aus dem Stock zu ziehen, den er damals bei sich hatte, und einen der Angreifer damit abzuwehren, so daß dieser leicht verletzt wurde. Er hatte aber erst zugestochen, nachdem sein Gegner ihm mit einem rohen Knüppel den Kopf eingeschlagen hatte.
Nun hatte die Staatsanwaltschaft einen. Angriffspunkt gegen mich und behauptete, daß ich Joseph aufgewiegelt habe, handgreiflich zu werden; denn das war ihr Ziel, das sie schon seit langem verfolgte.
Ich protestierte..., aber der Protest half mir nicht weiter.
Dreizehn Tage lang wurde ich eingesperrt und gedemütigt. In dieser Zeit wurde ich dreimal verhört.
Als die Staatsanwaltschaft nicht in der Lage war, gegen mich irgendeine Verdächtigung auszusprechen, wurde sie unsicher und begriff, daß man mich nicht vor Gericht bringen konnte.
Aber ich befand mich in ihrer Hand...
Am 9. September 1944, um 22 Uhr, besuchten mich 'Arif Ibrahim, der Polizeidirektor, Omar Tabbara, der Polizeioberkommissar und Muhammad Ali Fayyad, der Kommissar des "Al-Burj"-Viertels, im "Ar-Raml"-Gefängnis, wo ich mich damals aufhielt und teilten mir mit, daß der Präsident der Republik mir die libanesische Staatsangehörigkeit entzogen habe und sie beauftragt seien, mich zu verbannen. Ich war verblüfft und sagte zu ihnen:
"Und hat der Präsident der Republik das Recht, die Bestimmungen der Verfassung zu verletzen und mir die Staatsangehörigkeit zu entziehen...?"
Da lachten sie und entgegneten: "Das Recht ist auf der Seite des Stärkeren!"
Ich erwiderte ihnen:
"Und was soll ich machen, wenn mein Gegner mein Richter ist?!"
Ich bat sie, zu meiner Schwester gehen zu dürfen, die in der Wohnung von George Haddad lebt, um mir von ihr etwas Geld und einige Sachen geben zu lassen. Dann sollte die tyrannische Macht mit mir tun, was sie wollte...
Und so geschah es.
Als wir angekommen waren, ließ man mich nicht in die Wohnung meines Freundes George gehen, sondern sie forderten meine Schwester auf herunterzukommen, damit ich mit ihr sprechen und sie um etwas Geld bitten konnte. Sie kam in Begleitung von Magda Haddad, der Tochter meines Freundes George.
In diesem Moment versuchte ich, mich von den Griffen derjenigen loszumachen, die mich fest umklammerten. Da kam es plötzlich zu einem schrecklichen, heftigen und fürchterlichen Handgemenge. Leiber wurden hin- und hergestoßen und Fäuste wurden erhoben, um Schläge auszuteilen!...
Sofort zog Omar Tabbara seine Pistole und versuchte, auf mich zu schießen.
Doch blitzschnell hatte sich Magda auf mich gestürzt, um mich zu schützen.
Ihre Reaktion verwirrte dieses Ungeheuer, und er konnte nur noch zur Einschüchterung in die Luft schießen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, Magda oder jemand anderen zu verletzen.
Durch die Schüsse alarmiert, kamen George Haddad und der Dichter Halim Dammus, der in jener Nacht bei der Familie Haddad zu Gast war, heruntergelaufen.
Dann eilten auch die beiden Schwestern Magdas und ihre Mutter herbei. Hunderte von Menschen versammelten sich in der dunklen Nacht, deren Stille von jenen Schüssen durchbrochen worden war.
In diesem Moment zog Muhammad Ali Fayyad seinen Revolver und schlug mir damit auf den Kopf. Um mich herum drehte sich die Erde, oder vielmehr, ich hatte das Gleichgewicht verloren und fiel die Wohnungstreppe hinunter!
* * *
Seltsamerweise erinnerte ich mich in diesem schrecklichen Augenblick an den Traum, der mir vor etwa zwei Monaten erschienen war.
Jetzt war der 9. September, die Uhr zeigte auf eine halbe Stunde nach Mitternacht, und wie der Leser es gesehen hat, hatte ich am 10. Juli den Traum.
* * *
In dem wirren Durcheinander verlor ich das Bewußtsein und kam erst auf der Polizeidienststelle wieder zu mir. Ich sah, wie sie sich gegenseitig dabei ablösten, mich auszupeitschen, d.h. der Polizeidirektor, Omar Tabbara und Fayyad -ganz wie ich es geträumt hatte. Dann beschimpften und beleidigten sie mich und brachten mich schließlich in Begleitung von drei Männern der Geheimpolizei, die von Omar Tabbara angeführt wurden, zu einem Auto. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch und kamen am nächsten Morgen um neun Uhr in Aleppo an.
Dort wurde ich ohne rechtmäßigen Grund in Haft gehalten und brachte vier Tage ohne Essen und Trinken im Gefängnis zu. Ich befand mich in einem erbärmlichen Zustand und hätte fast das Zeitliche gesegnet.
Doch schließlich brachte man mich zur türkischen Grenze, die 52 Kilometer von Aleppo entfernt ist.
Nachdem wir durch das Dorf I'zaz gekommen waren, befahlen sie mir, die türkische Grenze zu überschreiten. Da blickte ich sie geringschätzig an und sagte:
"Schert euch davon, denn ihr seid die Verlierer!"
Ich erinnerte mich nämlich daran, daß ich im Traum auf dem Rücken eines prächtigen Löwen geritten war! Da wußte ich, das letzte Wort würde ich haben. Mit der Hilfe Gottes, des Erhabenen, werde ich den Sieg davontragen.
Beirut, den 10. Juli 1944